Kaum ein Thema beschäftigt die Menschen so sehr, wie das Wohnen. Dabei geht es nicht nur um die Frage nach Eigentum oder Miete, sondern mehr noch um das Verhältnis von Privatem zu Öffentlichem, von Familie und Beruf, von persönlicher Freiheit und kollektiver Sicherheit. Es geht um Wohnkonzepte, die der demografischen Entwicklung gerecht werden und letztlich auch um Reaktionsmöglichkeiten auf zukünftige Wetterkapriolen und Naturereignisse. Foto: colourbox.com
- Studie des Zukunftsinstituts Kelkheim
- Trend: Kollaborative Räume
- Trend: Wohnen dezentralisiert sich
- Trend: Interior gewinnt an Bedeutung
- Trend: Smart Being: Fusion
- Trend: Gesunde, naturnahe Städte
Studie des Zukunftsinstituts Kelkheim
Die vor allem in den Großstädten explodierenden Mieten geben der Diskussion um die Zukunft des Wohnens eine völlig neue Dimension und Brisanz. Antworten auf zahlreiche Fragen sowie interessante Einblicke in die Vergangenheit und Zukunft des Wohnens gewährt eine Studie des Zukunftsinstitutes in Kelkheim.
Die Autoren entwickeln und erläutern fünf Trendfelder, die sie in »Zeithorizonten« bis 2025 bzw. 2050 untersuchen. Ausgangspunkt ihrer Thesen ist die Erwartung, dass die Bevölkerung in Deutschland bis zum Jahr 2025 um 4,5 Prozent schrumpfen wird, wohingegen die Nachfrage nach Singelhaushalten weiter steigt.
Angesichts dieser Prognose wurden viel zu wenige Wohnungen neu gebaut bzw. zu viele Wohnungen auf das nicht mehr zeitgemäße »Ideal der Kernfamilien« ausgerichtet.
Trotz eines Mindestbedarfs von 183.000 neuen Wohnungen pro Jahr wurden 2009 weniger als 150.000 erbaut. Der so entstandene Wohnungsmangel trägt nun zu rapide steigenden Mieten bei. In Deutschland, wo 54 Prozent der Bevölkerung zur Miete wohnen, sind größere Mehrraumwohnungen in attraktiven Stadtlagen für viele Menschen kaum noch finanzierbar.
TREND 1:
Kollaborative Räume ergänzen den Wohnraum »on demand«
Der steigende Bedarf an kleinen Wohneinheiten bedeutet aber nicht, dass der Einzelne weniger Raum beansprucht. »Fehlende Entfaltungsmöglichkeiten in der eigenen Wohnung werden im Stadtraum und durch Serviceangebote kompensiert. Wem das Home-Office zu unkommunikativ ist, der mietet sich einen Tisch im Co-Working-Space. Wer zum Dinner einladen möchte, aber nicht über den entsprechenden Platz verfügt, bucht sich eine Küche.
TREND 2:
Wohnen dezentralisiert sich und verlangt nach neuen Wohnkonzepten
»My Home is my Castle« stimmt daher in Zukunft nur noch bedingt. Der private Rückzugsort verliert zwar nicht an Bedeutung – aber die Wohnung hat Konkurrenz bekommen! Sie ist nicht mehr allein der Ort des Wohlfühlens und Wohnens: Die »dritten Orte« – gemeint sind öffentliche Räume außerhalb von Wohnung und Arbeitsplatz – werden in Zukunft zu einem aktiven Bestandteil und einer Bereicherung der Wohnkultur.
Sie werden die eigenen vier Wände bei Bedarf ergänzen und so die in digitalen Netzwerken etablierte Tauschkultur in die modernen Wohnwelten übertragen. Wie beim Car-Sharing werden bestimmte Ressourcen gemeinschaftlich genutzt, statt sie zu besitzen.
»Wohnqualität definiert sich nun über zusätzliche Raum- und Serviceangebote im nahen Umfeld – angefangen vom Café, das als Wohnzimmer- oder Küchenersatz zur »außerhäuslichen Wohnfläche« wird – bis hin zu jenen trendigen Angeboten, die einem suggerieren, man könne nahezu alles »to go« erledigen. Nicht zuletzt durch solche »Third Rooms« und Service-Angebote wird Wohnen zu einem dezentralen Netzwerk in der Stadt!
TREND 3:
Das Interieur gewinnt an Bedeutung –
Wohnräume passen sich der Lebenswirklichkeit an
Aber auch die, auf das Wesentliche reduzierte, Wohneinheit wird sich verändern und immer neuen Wohnsituationen anpassen. Ein zur Verfügung stehender Raum bleibt zukünftig nicht mehr einzelnen Wohnfunktionen vorbehalten, sondern wird multifunktional genutzt.
Die längst aufgehobene Trennung von Arbeiten und Wohnen gebietet dies: Jeder fünfte Erwerbstätige erledigt heute berufliche Aufgaben zu Hause. Damit die Wohnung die unterschiedlichen Anforderungen erfüllen kann, wird sie mittels Wandelementen, Wohntextilien und neuartigen Möbelstücken – der so genannten »Flexware« – in Funktionsbereiche unterteilt.
Auf diese Weise passen sich »Wohnräume den individuellen Lebensphasen des Einzelnen an. Aus vorstrukturierten Räumen werden ineinander übergehende Zonen, die sich je nach aktueller Nutzungs- und Bedürfnislage wandeln.«
TREND 4
Smart Being: Fusion aus Technologie und gesunden Menschen
Nicht nur »die Singles in unserer Gesellschaft werden zu hochgradig vernetzten Wesen. Kaum einer ist allein allein, weil so gut wie niemand mehr ohne sein Smartphone auskommt.
Auf das Wohnen wirkt dies in mehrfacher Hinsicht: Wir passen uns der Geschwindigkeit des technisch Möglichen an. Die Technik (meist in Form des Smartphones) wird zur Steuerungseinheit des Lebens … sie macht den Wohnraum zum Allzweckraum – ermöglicht Dinge, die man sonst nur in Büros oder Werkstätten konnte.«
Aber die Technik ersetzt weder den »User« noch seine Kommunikation. Sie hat nur dort einen Sinn, wo klar definierte Abläufe vereinfacht werden können. Dann sorgen die Assistenzsysteme der Zukunft für »Vernetzung, Sicherheit und Spaß.« Im Optimalfall schafft die Fusion aus smarter Technologie und gesundem Menschen besondere Räume für besondere Momente der Kreativität, Unterhaltung, Regeneration.
TREND 5
Städte der Zukunft sind gesund und naturnah
Und noch eine wesentliche Aufgabe kommt auf das Wohnumfeld von Morgen zu: Wohnräume und Orte der Zukunft dürfen nicht mehr nur nicht krank machen, sondern sollen der Gesundheit und dem Wohlbefinden ihrer Bewohner dienen: »Weltweit arbeiten Stadtplaner, Designer, Bürgermeister, Gemeindevorstände und Bürger an neuen Konzepten, um Städte schöner, sicherer und gesünder für jeden Einzelnen zu machen.«
Dazu ist es nötig, nicht nur in eine gute Infrastruktur, saubere Luft und einladende Parkanlagen zu investieren, sondern auch »weiche Faktoren« wie das Gefühl von Gemeinschaft, Identität und Zugehörigkeit zu vermitteln. Kommunen arbeiten verstärkt mit unterschiedlichsten Gesundheitsdienstleistern zusammen, »um ein umfassend gesundheitsförderndes Umfeld zu schaffen. …
Es geht also nicht mehr nur um Luftverschmutzung oder radioaktive Strahlung in Städten, sondern um die Gesamtheit der Faktoren, die Lebensqualität in Städten negativ beeinflussen können.«
Die ausführliche Beschreibung dieser fünf »Trendfelder«, die mit zahlreichen Praxis-Beispielen aus aller Welt gespickt sind, nehmen den Hauptteil der Studie ein. Darüber hinaus geht das Kapitel »Utopien des Wohnens« auf unterschiedliche Visonen und Idealvorstellungen zukünftiger Städte ein und schließt mit einer Zusammenstellung der »kommenden Wohneinflüsse von morgen.«
Studie »Zukunft des Wohnens« | Herausgeber: Zukunftsinstitut GmbH
Autoren: Christiane Varga, Adeline Seidel, Christof Lanzinger, Harry Gatterer
ISBN: 978-3-938284-72-8 | 190.00 Euro zzgl. 7 % MwSt. | www.zukunftsinstitut.de
GASTAUTOR
STEFFEN WILBRANDT
arbeitet als freier Journalist und Grafiker in Berlin.www.steffenwilbrandt.de